Der Weg vom Händeschütteln zum Händereichen

Der erste Schweizer Bildungstag brachte am 2. September in Bern Politik und Bildung ins Gespräch. Eingeladen hatten gemeinsam die grossen Berufsverbände der Bildung in der Schweiz, LCH und SER. Fazit: Die Parteien, Politikerinnen und Politiker legten vorwiegend ihre Standpunkte dar. Zum Ziel einer «Landsgemeindekultur» des Redens über Bildung in der Schweiz ist es aber noch ein weiter Weg.

Sieben Wochen vor den National- und Ständeratswahlen vom 24. Oktober waren die Parteien und Politiker aufgefordert, Farbe zu bekennen: Was sind ihnen Schule und Bildung wert? Sind sie bereit, den nötigen Preis zu bezahlen für attraktivere Arbeitsbedingungen im Lehrberuf, um so genügend und die besten Köpfe für die Schweizer Schulen zu gewinnen? Wie halten sie es mit Chancengleichheit und Integration als demokratische Leitideen der Schule?

Unter den 170 Teilnehmenden der Podiumsdiskussionen und Gruppengespräche im Hotel Bellevue Palace – unmittelbar neben dem Bundeshaus – fanden sich die bildungspolitisch profiliertesten Köpfe der im Bundesparlament vertretenen Parteien, unter ihnen Nationalrätin Kathy Riklin (CVP), Nationalrat Ulrich Schlüer (SVP), Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber (GPS), Nationalrat Christian Wasserfallen (FDP) oder die Zürcher Bildungsdirektorin Regine Aeppli (SP). Dabei waren auch die Spitzen der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), die Leitungsteams der Lehrerinnen- und Lehrerverbände SER und LCH sowie Vertreterinnen und Vertreter der Kantonalsektionen, Fach- und Stufenverbände. Die Tagesmoderation lag beim versierten Politikkenner und ehemaligen Lehrer Iwan Rickenbacher. «Die Schule braucht Öffentlichkeit und sie braucht die Unterstützung der Politik», hielt in seiner Eröffnungsansprache LCH-Zentralpräsident Beat W. Zemp fest. Mit dem ersten Schweizer Bildungstag wolle man einen Beitrag leisten, um das gegenseitige Verständnis zwischen der organisierten Lehrerschaft und der Bildungspolitik zu verbessern – sei es in der Verwaltung, in den Parlamenten, bei den Parteien, in der Wirtschaft oder in der Lehrerbildung.
Das gestiegene Interesse der Parteien und der Medien an der Schule und am Bildungswesen sei erfreulich, habe aber auch eine Schattenseite: «Der Preis für die politische Einflussnahme auf die öffentliche Schule ist nicht nur ideologisches Gezänk zwischen Lobbygruppen und Expertenstreit. Die Schule wird zu­nehmend auch als parteipolitisches Vehikel missbraucht, um neue Wähler­stimmen zu gewinnen.»

Stopp der «mission impossible»

Als «Lakmustest» für die Einstellung der Politiker und Parteien zur Bildung hatten der LCH und der SER gemeinsam sieben Thesen entwickelt, welche die zentralen Positionen der Berufsverbände auf den Punkt bringen. Deren erste lautet: «Ende der ‹mission impossible›.» Anstelle des unkoordinierten Aufladens von ständig neuen Aufgaben und Lernzielen müsse ein verbindlicher Auftrag treten. «Wir Lehrpersonen brauchen einen griffigen und klaren Kernlehrplan, der in der ganzen Schweiz seine Gültigkeit hat. Und wir müssen dann auch geschützt sein vor ständiger direkter Einmischung in unseren Bildungsauftrag durch die Politik und andere Anspruchsgruppen», erklärt am Bildungstag LCH-Zentralsekretärin Franziska Peterhans: «Was in den Schulen gelehrt und gelernt werden soll, gehört in einen demokratischen Lehrplan-Aushandlungsprozess, wie er jetzt gerade in der Deutschschweiz mit dem Lehrplan 21 passiert.»

«Eine gemeinsame Identität»

Die beiden grossen Berufsorganisationen der Bildung in der Schweiz, LCH und SER, die insgesamt mehr als 60'000 Lehrpersonen vereinigen, haben in den letzten Jahren ihre Kontakte stetig aus­ gebaut. Die Organisation des ersten Schweizer Bildungstages und das Erar­beiten gemeinsamer Thesen markierten eine neue Stufe der Zusammenarbeit. Bedeutet dies, dass – im Zeichen von HarmoS – sich auch die traditionell stark unterschiedlichen Schulkulturen der Deutschschweiz und der Romandie an­nähern? Dazu der Präsident des SER, Georges Pasquier: «Diese zum Teil gros­sen Unterschiede bestehen weiter. Ein wichtiger Punkt von HarmoS ist die An­erkennung, dass es in der Schweiz Sprachregionen gibt und die Koordina­tion der Lehrpläne und Lehrmittel auf dieser Ebene erfolgen soll. Wir müssen nicht das Gleiche denken, aber wir ha­ben als Lehrerinnen und Lehrer eine gemeinsame Identität zu verteidigen.»

Beginn einer Tradition?

Die Einladung von LCH und SER war an 200 Personen gegangen, die in der Schweiz an entscheidender Stelle für Schule und Bildung zuständig sind. 170 davon kamen am 2. September ins Bellevue Palace. Schon dieses Interesse ist als grosser Erfolg zu werten und zeigt, dass die Idee des Bildungstages eingeschlagen hat. Einmütig lobten die Teilnehmenden die Initiative der Berufsverbände. Einmütig anerkannt wurde auch die tadellose Organisation des Tages, bei der die Verbände von den Berner Firmen LerNetz und ProjektForum AG unterstützt wurden. Viele ermutigten die Vertreterinnen und Vertreter von SER und LCH, diese Veranstaltung zu einer Tradition zu machen.
Noch weit entfernt sind die Organisatoren hingegen von ihrer Vision einer «Landsgemeindekultur des Redens über Bildung in der Schweiz». Die Parteien und Politiker nutzten den Bildungstag, um ihre vorgefassten Positionen und Parolen auf den Tisch zu legen. Ein Klima, in dem Konflikte sich austragen lassen und Standpunkte sich annähern können – das ist noch zu erarbeiten oder muss in unmittelbarer Nachbarschaft des Bundeshauses vielleicht gar Wunschtraum bleiben. Hände schütteln heisst eben noch lange nicht Hände reichen.

Schweizer Bildungstag

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